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Wolfgang Witte 

Entwicklungslinien und Schwerpunkte der Jugendarbeit in Berlin





Die Kinder und Jugendlichen Berlins und mit ihnen die Berliner Jugendarbeit erlebten in den letzten Jahren in einem rasanten und weitreichenden Wandel. Der vielschichtige Strukturwandel in der Folge der Vereinigung Deutschlands und der Wiedervereinigung Berlins hat sowohl die Lebenssituation der jungen Menschen dieser Stadt geprägt als auch die Jugendarbeit wesentlich beeinflußt. Um aktuelle Entwicklungslinien und Schwerpunkte der Jugendarbeit in Berlin nachvollziehen zu können, sollen einige Angaben zur Situation von Kindern und Jugendlichen gemacht sowie zentrale Elemente dieser Entwicklung vorgestellt werden.

Kinder und Jugendliche in Berlin - einige Zahlen

Berlin ist mit ca. 3,5 Mio. Einwohnern die größte Stadt Deutschlands, etwa 2,2 Mio. Menschen leben in den früher westlichen, ca. 1,3 Mio. in den ehemals östlichen Bezirken. Etwa 820.000 Einwohner sind zwischen 6 und 27 Jahren alt. Über 400.000 Einwohner sind ausländischer Herkunft, die meisten dieser Bürger Berlins stammen aus der Türkei. In den letzten Jahren gibt es eine verstärkte Zuwanderung von Menschen aus Osteuropa. Trotz dieses Zuzugs verliert Berlin derzeit jährlich ca. 30.000 Einwohner, von denen viele aus den Berliner Innenstadtbezirken ins Brandenburger Umland ziehen. 

Berlin ist bezogen auf seine Sozialstruktur eine arme Stadt. Etwa ein Viertel der Bevölkerung sind Empfänger staatlicher Transferleistungen wie Arbeitslosengeld und -hilfe, Sozialhilfe, Wohngeld oder Ausbildungsförderung. Die Arbeitslosenquote liegt im Dezember 1999 bei 15,9 %. Von den jungen Menschen bis 25 Jahren sind 18,6 %, von den Berlinern ausländischer Herkunft sind 34,5 % arbeitslos. Etwa ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen leben mit alleinerziehenden Elternteilen. Das durchschnittliche Nettoeinkommen einer Familie mit Kindern beträgt ca. 3.800 DM, wobei allerdings das Durchschnittseinkommen alleinerziehender Eltern beinahe 2.000 DM unter dem von (verheirateten) Elternpaaren liegt. 

Die Lebensverhältnisse innerhalb Berlins sind in den einzelnen Bezirken und Stadtteilen sehr unterschiedlich. Gutbürgerliche Wohngegenden, verarmende (frühere) Arbeiterbezirke, pulsierende Innenstadtbereiche, die gegenwärtig wachsenden Neubauten des Regierungsviertels und der neuen Berliner Mitte, grüne Vorbezirke, Großsiedlungen in West und Ost - die wenigen Stichworte mögen verdeutlichen, daß die konkrete Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen und damit die Anforderungen an Jugendarbeit sich je nach Sozialraum sehr unterscheiden.
 

Strukturwandel der Berliner Jugendarbeit

Die besondere Berliner Situation liegt darin begründet, daß hier exemplarisch die Vereinigung zweier Gesellschaften, die sich in den Jahrzehnten der Teilung sehr unterschiedlich entwickelt hatten, vollzogen wird. Ein Prozeß, der noch längst nicht abgeschlossen ist.

Das westliche Berlin wurde durch seine besondere Insellage geprägt. Ökonomisch abhängig von westdeutschen Subventionen und in der Identität geprägt durch die „Frontstadt“-Situation entstanden hier spezielle soziale, politische und ökonomische Strukturen. So wurde beispielsweise durch Zuschüsse an Wirtschaftsbetriebe eine Industriestruktur am Leben erhalten und ausgebaut, die für sich nicht lebensfähig gewesen wäre. Arbeitnehmer erhielten die achtprozentige Berlinzulage, die für viele ein entscheidendes Argument war, in der Stadt zu bleiben. Stärker als anderswo war in Berlin der öffentliche Bereich ausgebaut, auch Jugendarbeit wurde vorwiegend durch den öffentlichen Träger angeboten. Andererseits war West-Berlin ein Zentrum der vielfältigsten Jugendströmungen und Jugendszenen. Nach dem Krieg eskalierten hier die Konflikte zwischen östlichen und westlichen Jugendverbänden, die Anstrengungen der „reeducation“ durch die West-Alliierten waren in der früheren Reichshauptstadt besonders intensiv. Hier hatte die Studentenbewegung eines ihrer Zentren, ebenso die Punkszene, die Ökologie-, die Friedens- und die Hausbesetzerbewegung. Auch die problematischen Seiten der Jugendkulturen wie der Drogenkonsum fanden hier ihre spektakulären Ausprägungen, erinnert sei an die Geschichte der Heroin-Konsumentin Christiane F. Seit den siebziger Jahren erlebte West-Berlin den Zuzug mehrerer Migranten-Generationen, bis die Stadt Ende der achtziger Jahre die größte türkische Gemeinde außerhalb der Türkei hatte. Entsprechend sind die Fragen, die sich aus dem Zusammenleben von Menschen deutscher und nicht-deutscher Herkunft ergeben, seit Jahren fester Bestandteil des politschen und auch des pädagogischen Diskurses.

Die Elemente der Jugendarbeit West-Berlins wie Jugendverbandsarbeit, Stätten der politischen Bildung, Jugendfreizeitheime, offene Jugendarbeit, Integrations- und Jugendkulturprojekte lassen sich über ihre aktuelle Bedeutung hinaus auch als Sedimentablagerungen früherer (westlicher) jugendpolitischer Strömungen begreifen. 

Ein wesentliches Strukturmerkmal besonders der Jugendfreitzeitstätten war dabei, daß die Trägerschaft bei den Berliner Bezirken, also beim öffentlichen Träger lag - und liegt. Jugendverbände und Vereine der Jugendarbeit spielten als Träger von Einrichtungen eine vergleichsweise geringe Rolle. Dies wurde dadurch unterstrichen, daß bis 1994 freie Träger zentral durch den Berliner Senat gefördert und von den Bezirken nicht selten als Fremdkörper empfunden wurden. Die verwaltungsdominierte Jugendarbeit vieler Jugendfreizeitstätten stand - und steht - dabei oftmals in einem merkwürdigen Widerspruch zu den bunten und lebendigen Jugendszenen der Stadt. 

Erst mit der Umsetzung des SGB VIII(KJHG) 1990 und des Berliner Ausführungsgesetzes(AG KJHG) 1995, die die Rolle der freien Träger und der Jugendhilfeausschüsse stärken sowie der Übergabe der Gesamtverantwortung für die örtlichen Aufgaben der Jugendarbeit an die Bezirke aufgrund des Verwaltungsreformgesetzes von 1994 wächst ein partnerschaftliches Miteinander freier und öffentlicher Träger, so daß sich auch in den westlichen Bezirken eine größere Träger- und Angebotsvielfalt herausbildet.

In den östlichen Bezirken ist der Strukturwandel noch ungleich gravierender. Die DDR verfügte über eine umfangreiche Jugendfreizeitarbeit mit einem eigenständigen Versorgungs- und Erziehungsauftrag, der musische, sportliche und politisch-gesellschaftliche Fähigkeiten systematisch im Sinne einer Nachwuchsförderung unterstützte. Der Schulbereich machte bis in den Nachmittag hinein Freizeitangebote, Junge Pioniere und FDJ organisierten die überwiegende Zahl der jungen Menschen, größere Betriebe unterhielten eigene Jugendklubs. Hinzu kam eine größere Zahl kommunaler Jugendklubs, die organisatorisch dem Kulturbereich angegliedert waren. Aufgabe war neben der ideologischen Erziehung und der Talenteförderung im Zirkelwesen auch, jungen Menschen ein Äquivalent für den in der DDR nicht vorhandenen kommerziellen Freizeitbereich zu bieten. Gerade hinsichtlich der sich an westlichen Vorbildern orientierenden Jugendszenen boten Jugendklubs ein komplexes und widersprüchliches Feld mit kontrollierten Freiräumen und wohldosiertem Anpassungsdruck. Besonders in der früheren Hauptstadt der DDR kam das Bestreben hinzu, der internationalen Öffentlichkeit den Eindruck kultureller Vielfalt und vitaler Jugendkultur zu vermitteln. 

Mit der Wende machte auch die Jugendarbeit Ostdeutschlands einen tiefgreifenden Wandel durch. Die Kinder- und Jugendorganisationen lösten sich auf bzw. transformierten sich in den Bereich der freien Träger, Schulen bauten ihre Freizeitbereiche ab, Betriebe trennten sich von ihren sozialen Verpflichtungen. Die kommunalen Jugendklubs dagegen wurden großteils erhalten, machten aber einen Funktionswandel durch. An die Stelle von Talenteförderung, Tanz-, Unterhaltungs- und Breitenkulturangeboten traten eher sozial- und kulturpädagogisch geprägte Angebote. Ergänzt wurde dieser Bereich der staatlichen Jugendarbeit durch eine sich schnell ausweitende Szene freier Träger der Jugendarbeit. Durch das bundesgeförderte Programm „Aufbau freier Träger Ost“(AFT) konnten nach der Wende zahlreiche neu entstandene freie Träger gefördert werden. Über Maßnahmen aufgrund des Arbeitsförderungsgesetzes wurden - und werden - jährlich hunderte Menschen bei freien Trägern der Jugendhilfe, insbesondere der Jugendarbeit beschäftigt. 

Das wichtigste Berliner Programm für die Entwicklung der Jugendarbeit vor allem in den östlichen Bezirken war „Jugend mit Zukunft - Sonderprogramm gegen Gewalt“. Unter dem Eindruck rassistischer Gewalttaten und einer wachsenden rechtsextremistischen Gesinnung bei Jugendlichen beschloß das Berliner Abgeordnetenhaus 1993 für den Zeitraum von drei Jahren eine Summe von dreihundert Millionen DM für die Jugendarbeit aber auch im außerunterrichtlichen Bereich der Schule und der präventiven Polizeiarbeit einzusetzen. Die inhaltlichen Schwerpunkte des Sonderprogramms lassen sich aus den Bezeichnungen seiner Teilprogramme ablesen: „Wochenendöffnung“(von Jugendfreizeitstätten), „Mobile Zelte“(Ausbau mobiler und kleinerer Einrichtungen), „Rockmobile“, „Jugendkulturarbeit“, „Ergänzung Streetwork“, „Schülerclubs“, „Sportorientierte Jugendarbeit“. Ebenfalls mit finanziellen Mitteln des Sonderprogramms wurde die „Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin“ gegründet, die mit Siftungserlösen auch Projekte der Jugendarbeit fördert. Trotz etlicher Abstriche wurde das Sonderprogramm mehrmals verlängert und teilweise auch in den Haushalt übernommen bzw. aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie weitergefördert. Von 1993 bis 1998 wurden insgesamt 242 Mio. DM eingesetzt. Die meisten der in der Folge vorgestellten Projekte konnten über „Jugend mit Zukunft“ gefördert werden.

„Aufbau freier Träger Ost“, „Jugend mit Zukunft“ und AFG-Förderung haben verbunden mit einer - im Vergleich zu den westlichen Bezirken - früheren Umsetzung des SGB VIII und des Berliner Ausführungsgesetzes dazu geführt, daß in den östlichen Bezirken eine weitaus vielfältigere Szene freier Träger und eine vitalere Arbeit der Jugendhilfeausschüsse existiert als in den meisten westlichen Bezirken. 

Der Strukturwandel der Berliner Jugendarbeit ist dabei längst nicht abgeschlossen. Ab 2001 werden die Berliner Bezirke von jetzt 23 auf zukünftig 12 reduziert. Ab 2000 werden die Globalsummen, die die Bezirke in eigener Verantwortung bewirtschaften, durch den Senat neu zugemessen. Gerade für die Jugendarbeit können sich hieraus spürbare Umschichtungen ergeben. Ferner wird die Jugendhilfe verstärkt mit den Auswirkungen der Verwaltungsreform, mit Kosten- und Leistungsrechnung, dezentraler Resourcenverantwortung, Evaluierung- und Qualitätssicherungsverfahren konfrontiert. Ziel der genannten Reformen ist vor allem, den angespannten öffentlichen Haushalt zu entlasten. Gerade in Berlin mit seiner besonders schwierigen Haushaltssituation stehen die öffentlichen Ausgaben - auch die für Jugendarbeit - immer wieder auf dem Prüfstand. Bislang konnten allerdings substantielle Einschnitte vermieden werden, u.a. weil das Berliner „Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz“(AG KJHG) in § 48 Abs.2 vorschreibt, daß mindestens 10 % der gesamten Mittel der Jugendhilfe für Jugendarbeit bereitgestellt werden müssen. Auch wenn dieser Anteil bislang nicht erreicht ist - er liegt bei ca. 6,5 % -, so bietet er doch einen gewissen Schutz vor übermäßigen Kürzungen. Dennoch haben Einsparungen, Haushaltssperren und ein Einstellungsstop im öffentlichen Dienst immer wieder die pädagogische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt und zu Verunsicherungen geführt.

Durch die bezirkliche Gesamtverantwortung für die örtlichen Angebote der Jugendarbeit sowie durch die Umsetzung des SGB VIII und des Berliner Ausführungsgesetzes wurden auch auf Landesebene die Aufgaben neu beschrieben. Seit 1995 existiert ein bis heute anhaltender Prozeß der Herausbildung eines Landesjugendamtes und einer Obersten Landesjugendbehörde, der die fördernden und beratenden Funktionen trennt von der Bearbeitung von Grundsatzfragen und der Vorbereitung jugendpolitischer Entscheidungen.
 

Das gegenwärtige Angebot der Berliner Kinder- und Jugendarbeit

Die Angebote nach §11 SGB VIII gliedern sich in unterschiedliche Bereiche. 

Den größten Teil machen die insgesamt  ca. 540 Jugendfreizeitstätten aus, von denen sich 240 in freier, ca. 300 in öffentlicher Trägerschaft befinden. Kennzeichnend für Jugendfreizeitstätten sind die durch Fachpersonal sichergestellte pädagogische Qualität der Angebote, die Verortung in eigenen Räumen, die zeitliche Kontinuität regelmäßiger Angebote, die Förderung durch die für Jugendarbeit zuständigen Fachverwaltungen. Im Zentrum der inhaltichen Arbeit steht die außerschulische Bildung von Kindern und Jugendlichen in Verbindung mit Spiel, Sport und Geselligkeit. Der Begriff „Jugendfreizeitstätte“ umfaßt eine Palette unterschiedlicher Einrichtungstypen: Jugendfreizeitzentren/-heime, Jugendclubs, Jugendläden, Kinderclubs, Schülerfreizeitstätten, Schülerclubs, Pädagogisch betreute Spielplätze, Kinderbauernhöfe, Sportjugendclubs, Mädchensportclubs, Kinder- und Jugendmuseen, Kinderzirkusse,  eine Jugendtechnikschule, Jugendkulturzentren und Jugendkunstschulen. Bis auf wenige Ausnahmen liegen die Jugendfreizeistätten in örtlicher, bezirklicher Verantwortung. Überbezirklich werden Stätten mit überörtlichem Wirkungskreis, d.h. mit besonders profiliertem Angebot, insbesonders der kulturellen Bildung gefördert. Größe und Charakter der Stätten sind im einzelnen sehr verschieden. Neben kleinen Jugendläden mit ein bis zwei festen Mitarbeitern steht das Kinder- und Jugendfreizeitzentrum Wuhlheide - der frühere DDR-Pionierpalast - mit über einhundertvierzig Beschäftigten. Zusätzlich zu den hier aufgeführten Jugendfreizeitstätten in der Fachlichkeit der Jugendhilfe existieren noch zahlreiche weitere Einrichtungen wie Jugendräume von Kirchengemeinden oder Jugendverbänden aber auch Projekte mit AFG-Förderungen, die ebenfalls Freizeitangebote für junge Menschen machen.

Die Durchführung von außerschulischen Bildungsveranstaltungen erfolgt in Berlin in erster Linie in den neun Jugendbildungsstätten, die über eigenes qualifiziertes pädagogisches und für den Betrieb einer Internatseinrichtung erforderliches Personal verfügen. Sieben dieser Einrichtungen befinden sich in verbandlicher Trägerschaft. Sie bieten ganzjährig Seminare, Kurse der außerschulischen Bildung an. Schwerpunkt ist die politische Bildung, die - anknüpfend an den Erfahrungen und Bedürfnissen - junge Menschen befähigen und unterstützen soll aktiv an der Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie durch Förderung demokratischer Verhaltensweisen mitzuwirken. 

Über die Freizeit- und Bildungsangebote in Stätten hinaus existieren vielfältige weitere Angebote der außerschulischen Bildung wie Spielmobile, mobiles Kinderkino, Rock- und HipHop-Mobile, Jugendorchester sowie Festivals und Wettbewerbe auf örtlicher und überörtlicher Ebene. Für die Förderung der kulturellen Bildung werden Eintrittsermäßigungen für den Besuch von Kinder- und Jugendtheatern und Jugendkonzerten gewährt. Während der Ferien bietet der „Super-Ferienpass“ ein interessantes und vielfältiges Veranstaltungsprogramm. Kinder- und Jugendbüros fördern die Partizipation von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden politischen Entscheidungen.

Internationale Jugendbegegnungen fördern das Hineinwachsen junger Menschen in ein gemeinsames Europa. Sie basieren auf dem Konzept des gegenseitigen bilateralen Austausch von Jugendgruppen, um das persönliche Kennen- und Verstehenlernen und die jugendpolitische Zusammenarbeit zwischen den europäischen Völkern zu unterstützen. Berlin fördert mit Landesmitteln und unter Einbezug von Mitteln aus EU-Programmen, des Kinder- und Jugendplanes des Bundes, des Deutsch-Französischen Jugendwerkes und des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes den Austausch von jungen Menschen. Träger der Austauschmaßnahmen sind Jugendverbände, bezirkliche Jugendämter und eine Vielzahl von freien Trägern. Neben bilateralen Begegnungen von Jugendgruppen werden auch tri- und multilaterale Begegnungen durchgeführt.

Kinder- und Jugenderholung umfaßt durch die Bezirksämter von Berlin durchgeführte, bzw. geförderte Stadtranderholung und Erholungsfreizeiten, die den Chararkter von Zeltlagern bis hin zu Sport- und Erlebnisfreizeiten haben können. Durch das Landesjugendamt werden zusätzlich Zelt- und Ferienlager der Jugendverbände und anderer freier Träger, sowie Gastelternaufenthalte im Ausland und behindertenintegrative Erholungsfreizeiten gefördert.

Die Förderung der Jugendverbände zur Gewährleistung der Jugendarbeit in einer Vielzahl örtlicher Jugendgruppen mit ehrenamtlichen Jugendgruppenleitern ist dem Ziel der Partizipation und der Integration junger Menschen in Staat, Kirche und Gesellschaft verpflichtet. Gegenwärtig werden 22 Jugendverbände sowie der Berliner Landesjugendring mit Sach- und Personalkosten unterstützt.

Konzeptionelle Tendenzen der Jugendarbeit in der Metropole Berlin

Die obigen Ausführungen machen die Vielgestaltigkeit und den komplexen Entwicklungsprozeß der Berliner Jugendarbeit deutlich. Parallel, mehr oder weniger verknüpft mit den strukturellen Veränderungen lassen sich inhaltlich-konzeptionelle Entwicklungen und Strömungen beschreiben, die jedoch angesichts der Vielfalt von Einrichtungen, der unterschiedlichen konzeptionellen Traditionen und örtlichen jugendpolitische Schwerpunktsetzungen keineswegs widerspruchsfrei sind.

Die Vielfalt der Konzeptionen, Angebote und Zielgruppendefinitionen selbst ist ein zentrales Merkmal zeitgenössischer großstädtischer Jugendarbeit. Die gewachsene Komplexität führt dabei sowohl zu größerer Handlungsfähigkeit als auch zu Orientierungsproblemen und Unsicherheiten darüber, was denn Jugendarbeit eigentlich ausmacht und wie sie ihre Schwerpunkte setzen soll. Weniger als in füheren Jahrzehnten beschränkt sich Jugendarbeit heute auf wenige Einrichtungs- und Angebotsformen. Stattdessen ist die aktuelle Entwicklung von Spezialisierung und Differenzierung geprägt, was auch den gegenwärtigen Lebenslagen und Interessen Jugendlicher entspricht. Dies erzeugt jedoch auch Schwierigkeiten für die Darstellung genereller Tendenzen und birgt die Gefahr „ungerechter“ Schwerpunktsetzungen bei überblickshaften Darstellungen wie der vorliegenden.

Spezialisierung und Differenzierung bedeutet für die Jugendfreizeitstätten, die den größten Teil der Berliner Jugendarbeit ausmachen, daß das herkömmliche Jugendzentrum/Jugendfreizeitheim mit seiner unspezifischen Zielgruppendefinition(„alle Jugendliche“) und seinem heterogenen konzeptionellen Profil zunehmend in Frage steht. Längst hat sich gezeigt, daß keine Einrichtung für „alle“ Jugendlichen offen ist sondern sich durch ihr Publikum, ihre Mitarbeiter und ihre Angebote ein Profil schafft, das manche junge Menschen anzieht, andere abstößt. Nicht alle sozialpädagogischen, sozialpolitischen, präventiven oder bildungsbezogenen Zielsetzungen können gleichermaßen umgesetzt werden.

Differenzierung und Spezialisierung können in sozialpädagogische und in bildungsbezogene Dimensionen unterschieden werden, wobei es in der Praxis Überschneidungen gibt. Ein Teil der Jugendfreizeitstätten stellt sozialpädagogische Konzepte in den Mittelpunkt. Besonders kleinere Einrichtungen arbeiten im Rahmen offener Jugendarbeit mit problematischen und gefährdeten Gruppen, wobei durch kontinuierliche Beziehungsarbeit und soziales Lernen eine verbesserte Integration insbesondere hinsichtlich der Vermeidung von Heimunterbringungen dieser Jugendlichen angestrebt wird. Hinsichtlich der Möglichkeiten des pädagogischen Einwirkens ist jedoch strittig, ob eine solche Zielsetzung in Einrichtungen oder effektiver durch mobile Jugendarbeit erreicht werden kann. In einigen Bezirken werden daher Streetwork und Hinausreichende Jugendarbeit ausgebaut und die Förderung der Jugendarbeit in Jugendfreizeitstätten reduziert.

Eine weitere sozialpädagogische Spezialisierung liegt im Bereich der geschlechtsspezifischen Arbeit, insbesondere der Förderung von Mädchen. Eine größere Anzahl Einrichtungen zielen in ihrer Arbeit darauf ab, durch geschlechtshomogene Angebote Selbstbewußtsein, Handlungsfähigkeit und Zukunftchancen junger Frauen zu verbessern. Gezielte Jungenarbeit ist dagegen selten, obwohl implizit ein großer Teil der Angebote der Jugendarbeit sich an Jungen wendet. 

Ebenfalls eher sozialpädagogisch geprägte Konzepte werden in Einrichtungen umgesetzt, die Aussiedler- bzw. Migrantenjugendliche als Zielgruppen haben. Eine weitere Zielgruppe sind die älteren Kinder, die durch Kindereinrichtungen bzw. durch Angebote der Tagesbetreuung nicht mehr angesprochen werden, für viele Jugendfreizeitstätten aber noch zu jung sind („Lücke-Kinder“). In der Berliner Jugendarbeit gibt seit den achtziger Jahre intensive Bemühungen, die Angebote für die Altersgruppe der 12- bis 14-jährigen zu verstärken, da in dieser Alterspanne einerseits wichtige biographische Prägungen stattfinden, andererseits ein Mangel an geeigneter Förderung besteht. Neue Aktualität erhält diese Thematik durch die jugendpolitische Notwendigkeit der verbesserten Betreuung und Förderung von Grundschulkindern, wofür eine intensivere Kooperation von Schule, Tagesbetreuung/Hort und Jugendarbeit angestrebt wird. 

Die bildungsbezogene Spezialisierung stellt die künstlerisch-gestalterischen, sportlichen, technischen oder medienbezogenen Interessen junger Menschen ins Zentrum der Angebotsstruktur. Angestrebt wird, an den Interessen der Kinder und Jugendlichen anstatt an ihren Defiziten anzuknüpfen. Im Rahmen kulturpädagogischer Projektarbeit gewinnt neben der Qualität pädagogischer Prozesse die Wertschätzung der Ergebnisse an Gewicht. „Rockmobile“, „Sonnenuhr“ und „Schlesische 27“ machen anschaulich, daß interessengeleitete kulturelle Bildung besonders geeignet ist, die Entwicklung und die Identitätsbildung von Jugendlichen zu fördern. Sonnenuhr zeigt eindrucksvoll, welche Integrationsmöglichkeiten für behinderte junge Menschen kulturelle Bildung bietet. Wie die Bildungsziele von Jugendarbeit auch auf Kinder bezogen werden können, zeigt der Beitrag des „Kindermuseum Labyrinth“. Verbunden ist die bildungsbezogene Spezialisierung mit veränderten Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter der Jugendarbeit. Spezifische Fähigkeiten und Qualifikationen in Theaterarbeit, Bildendem Gestalten, Tanzen, Akrobatik und Artistik, der Medien- oder der Musikarbeit werden immer wichtiger, so daß in einigen der für Berlin vorgestellten Projekte überwiegend Mitarbeiter tätig sind, die Abschlüsse in künstlerisch-gestalterischen Bereichen haben und als solche in der Tätigkeit von Sozialarbeitern beschäftigt sind. 

Die Tendenz der inhaltsbezogenen Spezialisierung reicht weit über den künstlerisch-kulturellen Bereich hinaus. So sind durch das oben erwähnte Sonderprogramm „Jugend mit Zukunft“ auf Initiative der Berliner Sportjugend 10 Sportjugendclubs entstanden, die Jugendlichen außerhalb von Vereinsstrukturen sportorientierte Angebote vor allem im Bereich der Trend- und Straßensportarten macht. Anleiter sind neben entsprechend qualifizierten Sozialarbeitern auch ausgebildete Sportlehrer.

Spezialisierte Angebote und Qualifikationen sind auch für die Nutzung der neuen Medien notwendig. Neben einer entwickelten Videoarbeit, zahlreichen Tonstudios, Foto- und Filmarbeit spielt die Arbeit mit Computern in allen gestalterischen Bereichen eine wachsende Rolle und prägt zunehmend den Geschmack und die Interessen von jungen Menschen. Allein im vergangenen Jahr entstanden in Jugendfreizeiteinrichtungen - teilweise mit Sponsorenunterstützung - zehn neue Internet-Cafes. Die Qualifizierung von Mitarbeitern der Jugendarbeit im Bereich Neue Medien wird ab Herbst 1998 durch ein dreijähriges Weiterbildungsprogramm „Jugendkulturarbeit in Praxis“ gefördert. Etwa 450 Teilnehmer werden in Kursen bis zu 150 Stunden qualifiziert werden.

Ein besonders wichtiges jugend- und bildungspolitisches Thema ist die Verbesserung der Kooperation von Jugendarbeit und Schule. Wegen der veränderten Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen, insbesondere wegen der bereits angesprochenen Schwächung der familiärer Zusammenhänge sich Schule vor die Aufgabe gestellt über die Wissensvermittlung hinaus für die Erziehung junger Menschen zu sorgen. Mit Hilfe des Sonderprogramms „Jugend mit Zukunft“ und der Unterstützung der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung wurden an Berliner Schulen ca. 60 Schülerclubs eingerichtet, die den Schülern sowohl in Freistunden und in Pausen als auch am Nachmittag Angebote der Jugendarbeit machen. Ein zentrales Ziel der Schülerclubs ist es innerhalb schulischer Zusammenhänge selbstorganisierte Angebote und interessengeleitete Bildung zu ermöglichen. Darüberhinaus suchen Lehrer - besonders bei der Durchführung von Projekten - vermehrt die Unterstützung durch Einrichtungen der Jugendarbeit, weil diese über die notwendigen Kenntnisse für die Realisierung ganzheitlicher, lebenswelt- und interessenbezogener Projektarbeit verfügen und über eine insgesamt offenere Atmosphäre verfügen. Problematisch ist allerdings, daß Schulen wegen der spezifischen Strukturen dieses Bereiches bislang kaum in der Lage sind, eigene finanzielle Mittel für Kooperationsprojekte mit der Jugendarbeit einzusetzen. Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion um das Verhältnis von Schule und Jugendarbeit liegt in der bildungspolitischen Forderung Räume und Resourcen der Schule verstärkt für außerunterichtliche Zwecke, insbesondere für die Freizeitgestaltung der Kinder und Jugendlichen zu nutzen.

Die Tendenz zur Spezialisierung von Einrichtungen und Angeboten der Jugendarbeit unterliegt in mehrfacher Hinsicht der Diskussion. Besonders bildungsbezogene Einrichtungen setzen oftmals auf professionalisierte Angebote um den Qualitätserwartungen von Jugendlichen und Öffentlichkeit gerecht werden zu können. Nicht selten führt dies zum Einsatz spezialisierter Fachkräfte und zu einem Zurücktreten von Selbstorganisation und Ehrenamtlichkeit bzw. Freiwilligem Engagement. Unter anderen Vorzeichen tritt dieser Effekt auch bei sozialpädagogischen Konzepten ein, wenn ein Schwerpunkt auf Betreuung bzw. auf hilfeverwandte Angebote gelegt wird. Eine weitere Auswirkung der Spezialisierung liegt in der Bestärkung des gesellschaftlichen Trends zur Individualiserung von Lebens- und Interessenlagen junger Menschen. Jugendarbeit früherer Jahrzehnte in Jugendverbänden und Jugendzentren lebte auch von der „guten Mischung“. Jugendliche aus verschiedenen Schichten und sozialen Hintergründen fanden zusammen, wodurch Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag zum sozialen Ausgleich und zur sozialen Bildung leistete. 

Zukünftiges

Wie kann Jugendarbeit spezialisierten Anforderungen und Konzeptionen entsprechen und zugleich lebendige soziale Felder mit „guter Mischung“, Selbstorganisation und sozialer Verantwortung fördern? Wie kann dem Trend zu sozialer Segregation und individualisierter Orientierung entgegengewirkt werden? Wie wird der eigenständige Erziehungs- und Bildungsauftrag der Jugendarbeit unter den Bedingungen raschen sozialen Wandels im Verhältnis zu anderen Bildungsinstitutionen bestimmt und wie wird dieser Auftrag gesellschaftlich und politisch über die Fachöffentlichkeit hinaus vermittelt? Wie kann sie ihre die Effektivität der präventiven Dimension ihres Handelns nachweisen? An Fragen wie diesen werden sich die Konzeptionen der Berliner Jugendarbeit in den nächsten Jahren voraussichtlich zu orientieren haben.
 

Literatur:

Abgeordnetenhaus von Berlin: Bericht über ein sozialpädagogisches Konzept für ältere Kinder vom 17.3.1988, Drucksache 10/2134

Abgeordnetenhaus von Berlin: Bericht über Bestand und Perspektiven für die Berliner Jugendfreizeitstätten (Jugendfreizeitstättenbericht) vom 19. 12.1996, Drucksache 13/1236

Abgeordnetenhaus von Berlin: Bedarfsentwicklung für das Angebot Tageseinrichtungen für Grundschulkinder vom 26.3.1998, Drucksache 13/2640

Abgeordnetenhaus von Berlin: Bericht über Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt vom 15.12.1997, Drucksache 13/2305

Verein für Sport und Jugendsozialarbeit e.V.: Projektvorstellung Sportjugendclubs, Berlin, Mai 1997

Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Berlin e.V.: „Rockmusik in der Berliner Jugendarbeit“, Berlin 1995

dito.: „Populäre Musik und Pädagogik“, Berlin 1997