Wolfgang Witte

"Weil es uns Spaß macht ..."- Freiwilliges Engagement und Rockmusik -


Rockmusikförderung in der Jugendarbeit ist ein Feld, in dem es ein hohes Maß an gegenseitiger Unterstützung, freiwilligem Engagement und Selbstorganisation gibt. Die Unterstützung von rock-, pop-, hiphop- und technointeressierten Jugendlichen ist mittlerweile "eine Säule der Jugendarbeit". Gerade in Berlin gibt es - trotz aller Lücken - ein breites Förderangebot von Übungsräumen, Auftrittsmöglichkeiten, Workshops und Tonstudios.

Die Interviewpartner sind in drei Berliner Jugendeinrichtungen tätig:

Der Noteingang ist ein selbstorganisierter Konzertclub im Berliner Bezirk Zehlendorf. Er ist Bestandteil der Rockinitiativen der Evangelischen Jugend Berlin-Brandenburg und feiert in diesem Jahr 20-jähriges Bestehen.

Die Moabiter Musiktage sind eine Initiative der Evangelischen Jugend im Berliner Bezirk Tiergarten. Dort wird in jedem Jahr das gleichnamige einwöchige Rock-Festival veranstaltet.

Das Feedback Tonstudio gehört zum Arbeitskreis Medienpädagogik e.V., der darüberhinaus u.a. Träger der Berliner Rockmobile, des HipHopMobils und des OffBeat-Musikzentrums ist. Im Feedback Tonstudio können junge Bands Aufnahmen von ihrer Musik machen.

Die Interviewten sind:

Sebastian Lange, 23 Jahre alt, gelernter Elektromechaniker, z.Zt. arbeitslos, arbeitet auf freiwilliger Basis im Feedback Tonstudio seit Oktober 1994 und ist Gitarrist in der Band "Three Minutes Hate".

Ina Vranitzky, 22 Jahre alt, studiert Lehrerin. Sie arbeitet ehrenamtlich im Noteingang und bei den Moabiter Musiktagen, wo sie sich um organisatorische Fragen kümmert.

Francis Cinna, 26 Jahre, studiert Politikwissenschaft: Er arbeitet als ehrenamtlicher Tontechniker im Feedback Studio und spielt in der Band "Gastric Flu".
 

Ina, Sebastian, Francis: Ihr arbeitet ohne Bezahlung in Jugendeinrichtungen, die sich mit Rock-, Pop- oder HipHopförderung befassen. Was hängt dort von Euch ab, wofür tragt ihr Verantwortung?

Ina: Wir im Noteingang sind als Gemeinschaft zu sehen. Weil es bei uns keinen Hauptamtlichen gibt, müssen freitags, wenn die Konzerte sind, immer genug Leute dasein. Da muß sich jeder auf den anderen verlassen können. Und das hat bis jetzt auch ganz gut geklappt. Die anderen verlassen sich darauf, daß ich dabin und Kasse mache. Das ist manchmal nicht so einfach, weil jeder auch noch andere Verpflichtungen hat.

Francis: Im Feedback Tonstudio tragen wir dafür Verantwortung, daß die Bands Aufnahmen machen können, daß die Aufnahmen gut sind, die Bands sich drüber freuen und daß die jungen Bands einen Einblick in Tontechnik bekommen. funktioniert. 

Sebastian: Die Hauptverantwortung ist, eine qualitativ gute Sache abzuliefern und dafür zu sorgen, daß das Tonstudio in Ordnung bleibt.

Francis: Was aber leider oft nicht klappt. Ein Nachteil der unbezahlten Arbeit ist, daß man oft nur das macht, was einem Spaß macht, z. B. Bands aufnehmen. Aufräumen, saubermachen, staubsaugen und Dreck rausbringen sind aber Dinge, die keinen Spaß machen und die deshalb liegenbleiben. Es ist auch so: Wenn Du acht Stunden oder länger hintern Mischpult gesessen und konzentriert gearbeitet hast, kostet es große Überwindung, die ganze Aufräumerei noch ordentlich zu machen.

Ina: Ich sehe das etwas anders. Wenn Hauptamtliche sich darum kümmern, daß sauber gemacht wird und daß alles funktioniert, macht uns das auch verantwortungsloser.

Welches Maß an Verbindlichkeit empfindet Ihr gegenüber Eurer Tätigkeit ? Kommt Ihr manchmal in Konflikt zu anderen Interessen?

Sebastian: Wenn was abgemacht ist, dann ist es abgemacht. Da kann man sich drauf verlassen. 

Francis: Das geht auch gar nicht anders. Für die jungen Bands, die zu uns kommen, ist es eine wichtige Sache ins Studio zu gehen. Die kann man ja nicht hängenlassen. Manchmal kommen zu uns Bands aus dem Umland, sogar bis aus Rostock oder aus Bayern. Die sind dann extra ein paar hundert Kilometer gefahren. Schwierig ist es manchmal, wenn einer von uns krank wird, dann muß schnell Ersatz gefunden werden. Das klappt auch meistens.

Ina: Für mich ist die Arbeit im Noteingang absolut verbindlich. Ich kann mir nicht vorstellen, freitags mal nicht in den Noteingang zu gehen. Egal was ich habe, z:B. eine Fete bei einer Freundin, freitags kann ich nicht. Ich fahr übers Wochende nicht weg, jedenfalls nicht freitagabends. Frühestens fahre ich dann um 12 oder 1 Uhr nachts ab. Man kann sich auf mich verlassen und man kann sich auf die anderen verlassen. Wenn ich nicht kann, rufe ich rechtzeitig an.

Wie sind Eure Erfahrungen bei der Arbeit mit Gleichaltrigen? Oft arbeitet Ihr ja mit Leuten, die genauso alt oder auch älter sind als Ihr ? 

Sebastian: Ich habe damit keine Probleme.

Francis: Ich laß immer nen ziemlich Autoritären raushängen. Dann geht das schon.
(Gelächter)

Ina: Ich habe damit überhaupt keine Probleme. Wenn Bands denken, sie wären die Kings und könnten sich arrogant benehmen, dann können wir auch sehr bestimmt und pampig werden. Probleme hab ich manchmal mit Hauptamtlichen, die mir vorschreiben wollen, was ich zu tun und zu lassen habe. Manche von denen denken, daß sie alles können und wissen, weil sie schon so lange dabei sind. Sie wollen nicht einsehen, daß ich meine eigenen Erfahrungen machen möchte.

Warum macht Ihr diese Tätigkeit ? Was habt Ihr davon? Wenn wir über ehrenamtliche Tätigkeit reden: Gibt es Ideale, denen Ihr mit eurer Tätigkeit folgt?

Sebastian: Da steckt bestimmt ein Stück Idealismus drin, weil wir ja etwas für die Bands tun. Aber ich mache die Tonstudioarbeit hauptsächlich, weil ich mich dafür interessiere und diesen Bereich irgendwann einmal beherrschen möchte. Vorher habe ich schon Homerecording gemacht. Das Feedback Studio ist jetzt eine Stufe höher. Ich wollte das schon immer machen.

Francis: Für mich ist es eine Bereicherung, daß ich meinen Interessen nachgehen kann und etwa dazulerne. Wir lernen auch eine ganze Menge Bands kennen. Mit dem altdeutschen Begriff Ehre kann ich nichts anfangen. Wenn man unsere Arbeit kritisch sieht, sind wir Ehrenamtliche billige Arbeitskräfte für den Staat.

Ina: Die Arbeit im Noteingang ist für mich ein Hobby, etwas, das ich gerne mache. Außerdem kann ich den Raum auch für meine eigenen Feten nutzen. Ganz wichtig ist, daß ich Leute kennenlernen kann. Ich bin erst vor sechs Jahren nach Berlin gekommen und habe mittlerweile einen unglaublich großen Bekanntenkreis. Die Tontechniker im Noteingang, die dort auch freiwillig arbeiten, haben gelernt, wie man mit Veranstaltungstechnik umgeht. Die haben enorm viel Wissen aus dieser Arbeit herausgezogen. Fast alle machen das jetzt professionell als Beruf. Einige haben jetzt eine eigene Beschallungsfirma oder ein Tonstudio. Das hat für mich den Vorteil, daß ich in viele große Konzerte umsonst reinkomme. Allgemeine Ziele habe ich nicht, ich mache das aus Spaß an der Freude. Ich würde es auch nicht mögen, wenn mir jemand von wegen "ehrenamtlich" auf die Schulter klopft.

Francis: Im Feedback Studio ist der soziale Zusammenhang nicht ganz so stark wie im Noteingang. Wichtig ist, selbst was lernen zu können und auch mit der eigenen Band Aufnahmen machen zu können. Etwas anders ist es, wenn jemand neu bei uns anfängt. Dann macht er erst bei den anderen mit und lernt mit den Geräten umzugehen. Mir gefällt auch, daß ich lernen muß, mich auf ganz verschiedene Menschen einstellen zu müssen: Nette, Arrogante, Angeber, Spinner, Schüchterne.

Ina: Musiker sind eine besondere Kategorie: die spinnen alle.(Gelächter) Das finde ich aber gerade sympathisch.

Habt Ihr früher als Jüngere selbst Erfahrungen mit Ehrenamtlichen gemacht?

Ina: Ich bin in Süddeutschland ausgewachsen und komme aus der katholischen Jugendarbeit. Die Ehrenamtlichen waren immer die großen heros, können alles, machen alles, organisieren Reisen und so. Die waren für uns Vorbilder. Später kam ich nach Berlin zu den "Moabiter Musiktagen" und fand es absolut irre, wieviel die organisiert haben. Die hatten eine ganze P.A. (Beschallungsanlage für Konzerte, Anm. W.W.), wo man sogar mitmachen durfte. Außerdem wurden Rock-Festivals organisiert. Das fand ich schon faszinierend. Dann kam ich zum Noteingang und habe gemerkt, daß die auch nur mit Wasser kochen. Wenn man weiß wie, ist es garnicht so schwierig, ein Festival zu organisieren.

Worin seht Ihr die Unterschiede zwischen Euch und professionellen Toningenieuren?

Francis: Im Vergleich zu professionellen Toningenieuren ist es so, daß wir technisch weniger versiert sind. Die Jugendlichen, die bei uns anfangen, machen zwar selbst Musik, wissen aber zumindest anfangs nur wenig über Tontechnik. Professionelle Tontechniker haben eben eine richtige Ausbildung, zumindest mehr Erfahrung. 

Ina: Wichtiger als das reine technische Wissen ist aber das Interesse und die Lust an der Sache. Da sind Leute, die sich wie Ihr in eine Sache reinfummeln, sind oft besser als Tontechniker mit einem formalen Abschluß. Im Veranstaltungsbereich sind die richtigen Profis natürlich besser und routinierter als wir. Aber ich finde toll, was wir leisten können, gerade, wenn man bedenkt, daß wir nebenher ja alle noch was anderes machen.

Sebastian: Das sehe ich auch so. Ich würde zwar gern eine Ausbildung in Tontechnik machen, meine aber nicht, daß das am Ende das Entscheidende ist. 

Francis: Ich glaube, daß wir mehr Enthusiasmus und mehr Gefühl für die Sache haben.

Ihr habt alle drei auch Erfahrungen mit hauptamtlichen professionellen Sozialarbeitern. Glaubt ihr, daß Ihr eine andere Art von Beziehungen zu den Jugendlichen habt als die Hauptamtlichen?

Ina: Hauptamtliche machen solche Arbeit, weil es ihr Aufgabenbereich ist. Wir machen es, weil wir es wollen, weil es uns Spaß macht. Das ist ein Riesenunterschied. Wir können uns aufeinander verlassen, da brauchen wir keinen Hauptamtlichen. Die würden die Arbeit für uns nur noch komplizierter machen. Ich glaube, daß unsere Konzerte und Festivals deshalb besser sind als viele andere, wo Hauptamtliche eine größere Rolle spielen. Andererseits: Was wir machen unterscheidet sich komplett von der Arbeit eines Sozialarbeiters. Wir machen das aus Spaß an der Freude, aber wir holen keine Kids von der Straße. Wir kümmern uns nicht in diesem Sinne um die Leute, die zu uns kommen, daß wir versuchen würden, die zu etwas zu motivieren. Zugespitzt: Wir machen keine ehrenamtliche Jugendarbeit, sondern: Wir sind die Jugendlichen. Ich möchte mich nicht mit der Arbeit der Hauptamtlichen vergleichen.

Francis: Die Jugendlichen, die ins Feedback Tonstudio kommen, haben ein spezielles Interesse. Die jungen Bands müssen ja auch ein bißchen Geld bezahlen, die sind sehr motiviert. Das sind keine Leute, die sich langweilen und die bei uns Beschäftigung suchen. Allerdings müssen wir auch einige pädagogische Qualitäten entwickeln, um mit den unterschiedlichen Bands, die zu uns kommen, erfolgreich arbeiten zu können.

Sebastian: In den Ostberliner Klubs gab es früher auch eine Art ehrenamtlicher Arbeit in den Klubaktiven, die von den Hauptamtlichen betreut wurden. Das hat sich total geändert. Viele Jugendliche sind heute viel aggressiver drauf, randalieren in den Klubs und so. Da sagen die Hauptamtlichen dann leicht: Wenn Ihr nichts für den Klub tut, tue ich auch nichts für euch. Da ist so eine Konfrontation entstanden. Das war früher nicht so, da war nicht so ein Gegeneinander. Als Ehrenamtlicher ist man in einer solchen Situation überfordert.

Glaubt Ihr, daß sich die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Arbeit gegenüber früher verändert hat?

Francis: Ich sehe das so. Es ist nicht mehr so angesagt etwas ohne Bezahlung zu machen. Außerdem fördert die Konsumgesellschaft die Passivität der Leute.

Ina: Es gibt ein Nachwuchsproblem. Aber ich sehe nicht ganz so schwarz. Es gibt genug Jugendliche, die sich engagieren würden. Aber denen wird nicht geholfen. Das ist vor allem ein Problem der Hauptamtlichen, weil die sich oft an die bestehenden Gruppen der Ehrenamtlichen dranhängen, anstatt ihre Hand denen zu geben, die sie brauchen. Sie sollten anderen, neuen Jugendlichen den Weg zum ehrenamtlichen Engagement ebnen und sie zur Selbständigkeit hinzuführen. Das wird aber zuwenig getan. Für uns Ehrenamtliche wünsche ich mir mehr Fortbildung in den Bereichen, die uns interessieren.
 

Das Interview führte Wolfgang Witte.