Wolfgang Witte, Landesjugendamt Berlin

Jugendmedienarbeit als Beitrag zur Bildung junger Menschen


Wie können junge Menschen am besten gefördert werden an einer Gesellschaft teilzuhaben, deren Beziehungen und Kommunikation zunehmend durch elektronische Medien vermittelt ist? Diese Frage beschäftigt die medienpädagogisch reflektierte Jugendarbeit schon seit langem besonders jedoch seit der Ausbreitung der Computer- und Internettechnologie. In Berlin belegen gerade die Fachforen der LAG Medienarbeit e.V., das Förderprogramm jugendnetz-berlin.de und das Fortbildungsprogramm bits 21, dass es der Berliner Jugendarbeit mit der Aufgabe ernst ist, Kinder und Jugendliche darin zu unterstützen Medienkompetenz zu erwerben.

Gerade im Zusammenhang mit der Förderung von Medienkompetenz stellt sich die Frage nach der Rolle der Jugendarbeit, insbesondere der Jugendmedienarbeit für die Bildung junger Menschen. Hinzu kommt, dass nach der Veröffentlichung der PISA-Studie  und weiterer Untersuchungen wie LAN immer deutlicher wird, dass die Wirksamkeit des deutschen Bildungssystems zu wünschen übrig lässt. Ergebnisse sind, dass die soziale Ungleichheit durch das Bildungssystem nicht ausgeglichen sondern verstärkt wird, dass Kinder und Jugendliche über ein zu geringes kreatives Problemlösungsverhalten verfügen, dass Lese-, Sprach- und Rechtschreibkompetenz zu gering ausgeprägt sind, dass Kinder aus Einwandererfamilien zu wenig gefördert werden, dass die Förderung von Kindern zu spät ansetzt, wobei die Kindertagesstätten zu wenig fördern und bilden und dass Schlüsselkompetenzen, „soft skills“ nur ein geringer Wert beigemessen wird. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Zusammenspiel von Familie, Kindertagestätten, Schule, Jugendarbeit und Erziehungshilfen hierzulande nicht so funktioniert, dass junge Menschen die Kompetenzen erwerben, die sie in der sich wandelnden Gesellschaft benötigen und dass soziale Selektion durch das Bildungssystem fortgeführt werden.

Die Forderung nach einem weiteren, erweiterten oder auch ganzheitlichen Bildungsbegriff ist nicht neu. Erinnert werden kann an die Forderung der Reformpädagogik nach einer ganzheitlichen und sozialen Bildung mit allen Sinnen, an den marxistischen Begriff der polytechnischen Bildung, an den kritischen Bildungsbegriff der Frankfurter Schule, der sich gegen eine Verkürzung auf Zweckrationalität richtete. Für die aktuelle Diskussion sei hier auch auf die Unterscheidung zwischen Erziehung und Bildung durch H.-J. Heydorn hingewiesen: „Erziehung vermittelt also das gesellschaftlich relevante Wissen und die gesellschaftlichen Normen und Ansprüche. Bildungsprozesse hingegen setzen auf die emanzipatorische Möglichkeit der Entwicklung von Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung.“  Bildung stellt nach dieser Begriffsbestimmung das lernende, seine Handlungsfähigkeit und seine Kompetenzen entfaltende Individuum mit seinen sozialen und kulturellen Bezügen in den Mittelpunkt. 

Auch für die Jugendarbeit hat die Förderung der Bildung Tradition, die bis in die Zeiten der Jugendbewegung und der Reformpädagogik zurückreichen. Zu nennen ist weiter die politische Bildung, die in der Folge des Nationalsozialismus darauf zielte, die deutsche Jugend für die Mitwirkung in einer demokratischen Gesellschaft zu gewinnen. Mit der Bildungsoffensive der frühen siebziger Jahre wurde auch der Jugendarbeit als „außerschulische Jugendbildung“ im Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (1973) ein Platz im Bildungssystem zugewiesen. Während der achtziger und neunziger Jahre verringerte sich dieser Bildungsbezug der Jugendarbeit jedoch, nicht zuletzt aufgrund der sozialpolitischer Inpflichtnahme für präventive Zielsetzungen und eines eigenen defizitorientierten Selbstverständnisses . Allerdings blieb die Frage, wie Kinder und Jugendliche gefördert werden könnten, sich mit den für sie interessanten Themen und Inhalten zu befassen stets lebendig. Erinnert sei an die Debatten um die kulturelle Jugendarbeit während der achtziger Jahre und die zahlreichen Veröffentlichungen aus dem Bereich der Kulturellen Jugendbildung . Mit dem Konzept subjektorientierter Bildung, das die alterstypischen Konflikte junger Menschen in dem Mittelpunkt von Bildungsprozessen stellt, verfügt auch die Offene Jugendarbeit über ein eigenes Bildungsverständnis.  

An diese Bezüge können aktuelle Initiativen anknüpfen, die die Bildungsaufgabe der Jugendhilfe betonen und das Bildungsmonopol der Schule in Frage stellen. Der 11. Kinder- und Jugendbericht mit der Stellungnahme der Bundesregierung, die Streitschrift des Bundesjugendkuratoriums „Zukunftsfähigkeit sichern! – Für ein gemeinsames Verhältnis von Bildung und Jugendhilfe“ und die „Leipziger Thesen zur aktuellen bildungspolitischen Debatte (Bildung ist mehr als Schule)“  stimmen darin überein, dass die Bildung junger Menschen in allen informellen, nichtformellen und formellen Bildungsbereichen gefördert werden muss. Das Ziel dieser Zusammenführung kann jedoch nicht sein, die verschiedenen Rollen und Funktionen der einzelnen Institutionen wie Familie, Schule, Kita oder Jugendarbeit anzugleichen. Stattdessen ist herauszufinden, welche Institution für die Förderung von Bildungsprozessen junger Menschen welche Aufgaben wahrnehmen kann und wie Kooperationen und Synergien geschaffen werden können. Hier hat jeder seine eigenen „Hausaufgaben“ zu erledigen. 

Für die Jugendarbeit zeigt sich die Notwendigkeit sich verstärkt die eigenen Konzepte, Ziele und Wirkungen zu vergewissern und diese der Öffentlichkeit zu vermitteln. Hierdurch entsteht nicht zuletzt die Notwendigkeit einer Entwicklung der eigenen fachlich-personellen Ressourcen.

Hintergrund für die aktuelle Diskussion um Bildung sind die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse, die die derzeit gültigen Bildungsziele und Methoden in Frage stellen. Stichworte sind hier : 
· Wissensgesellschaft, wonach Orientierungs- und Quellenwissen eine größere Bedeutung gegenüber dem Erfahrungs- und Erklärungswissen erhält. Durch den ständigen Wandel des Wissens ist „lebenslangen Lernen“ erforderlich. Die Vorstellung, irgendwann einmal „ausgelernt“ zu haben, erweist sich zunehmend als Illusion.
· Risikogesellschaft: Die wachsende Flexibilisierung und Mobilisierung setzt Menschen aus verlässlichen und traditionellen Strukturen frei. Hierdurch wachsen einerseits Unsicherheiten, andererseits sind hiermit aber auch Chancen für eine autonome Persönlichkeitsentwicklung verbunden. Notwendig ist, individuelle Verantwortlichkeit zu entwickeln. 
· Arbeitsgesellschaft: Der Wandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft und die Veränderung industrieller Produktion durch Wissenschaft und komplexe Technologie stellen höhere Anforderungen an die Qualifikationen. Geringqualifizierte sind eher von Arbeitslosigkeit betroffen. Es müssen also Konzepte entwickelt werden, die auch die Bildung von bislang „bildungsfernen“ Bevölkerungsgruppen ermöglichen.
· Zivilgesellschaft: Die demokratische Gesellschaft benötigt die Stärkung von Partizipation, Solidarität, sozialen Netzen und Kooperation der Bürger. Dies ist besonders notwendig wegen der Auflösung bestehender Strukturen von Familie, Vereinen, Kirchen, Parteien, Gewerkschaften usw. 
· Einwanderungsgesellschaft: Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion, Kultur und Tradition erfordert eine interkulturelle Bildung, die ein friedliches Miteinander und die Verständigung auf gemeinsame Werte ermöglicht.

Bei diesen Hinweisen auf gegenwärtigen gesellschaftliche Entwicklungen und Qualifikationsanforderungen wird deutlich, dass der Erwerb von Medienkompetenz für junge Menschen unmittelbare Auswirkungen auf ihre Zukunftschancen hat. Orientierungs- und Quellenwissen beispielsweise muss die Fähigkeit beinhalten die Möglichkeiten des Internets zu nutzen. Medienkompetenz ist für Medienpädagogen allerdings bereits seit längerem ein zentraler Begriff, der D. Baacke folgend die Ebenen der Medien-Kritik, der Medien-Kunde, der Medien-Nutzung und der Medien-Gestaltung beinhaltet . Die Medienpädagogik selbst sieht sich zunehmend als Medienbildung und verabschiedet sich dabei von ihren bewahrpädagogischen Ursprüngen. Gesetzlicher und erzieherischer Kinder- und Jugendschutz stellen heute zwar auch noch Bezugsebenen für medienpädagogisches Handeln dar, im Vordergrund steht aber, Kinder und Jugendliche zu unterstützen Medien lebensweltbezogen für ihre Interessen zu nutzen. Der Medienpädagoge Stefan Aufenanger beschreibt folgende Dimensionen der Medienkompetenz: 
· Kognitve Dimension, die sich auf das Wissen, Verstehen und Analysieren im Zusammenhang mit Medien bezieht
· Handlungsdimension, um mit Medien zu gestalten, sich auszudrücken, informieren oder experimentieren
· Moralische Dimension, wobei es um die ethische Betrachtung und Beurteilung von Medienprodukten geht
· Soziale Dimension, die die Ebene des sozialen und politischen Handeln anspricht
· Affektive Dimension, die die Unterhaltungsfunktion von Medien einbezieht
· Ästhetische Dimension, wobei Medien als Ausdrucks-, Informations- und Gestaltungsmedium gesehen werden. 
Aufenanger stellt fest „Diese sechs Dimensionen müssen in ihrem Zusammenhang gesehen werden und dürfen nicht einzeln dominieren. Sie sollen deutlich machen, dass Medienkompetenz als Bildungsaufgabe gesehen werden soll, und nicht als irgendeine zusätzliche Qualifikation“  . 

An D. Baacke, St. Aufenanger und Erfahrungen der medienpädagogischen Praxis anknüpfend beschrieb die Berliner Arbeitsgemeinschaft nach §78 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) des Landesjugendhilfeausschusses „Medienbildung/Medienerziehung“ Medienkompetenz wie folgt: „Medienkompetenz, die die Mitwirkung und Handlungsfähigkeit junger Menschen in einer großteils durch Medien geprägten Welt zum Ziel hat, umfasst 
· die technischen Fähigkeiten, die für die Bedienung von Medien notwendig sind
· die Fähigkeit zur kritischen Bewertung und Einordnung von Medienbotschaften 
· Kenntnisse über die technischen, politischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen der Medien
· Kenntnisse, um sich die den eigenen Interessen gemäßen Informationen verschaffen und eine geeignete Auswahl treffen zu können
· die Fähigkeit zur Nutzung von Medien für die Verbreitung eigener Botschaften und Informationen  
· die Fähigkeit Medien im sozialen Zusammenhang als Kommunikations- und Gestaltungsmittel einzusetzen.
· die Fähigkeit zum lebenslangen, selbst organisierten Lernen“ 

Deutlich wird, dass der Bildungsanspruch der Jugendmedienarbeit im Kontext der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen sowie in der Verknüpfung zu anderen Bildungselementen zu sehen ist. Im Unterschied zu früheren medienpädagogischen Angeboten, z.B. in der Film-, Foto-, Video- oder Audioarbeit kann sich Medienbildung heute nicht mehr als eine von anderen Angeboten der Jugendarbeit abgetrennte Aktivität auffassen. Stattdessen ist die Förderung von Medienkompetenz heute eine Querschnittsaufgabe der Jugendarbeit. Dies beinhaltet, dass für alle Kolleginnen und Kollegen der Jugendarbeit die Anforderung besteht, sich mit Medien, insbesondere den aktuellen Informations- und Kommunikationsmedien vertraut zu machen und diese mit in ihre pädagogische Arbeit einzubeziehen  . Um zu dies ermöglichen, unterstützt das Land Berlin seit 1996 Fort- und Weiterbildungsprogramme für die Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen (insbesondere „Jugendkulturarbeit in Praxis“, BITS), die mittlerweile ca. 3.500 Beschäftigten aus Jugendarbeit, Kita und Schule medienpädagogische Kenntnisse vermittelt haben. 

Gerade in der Medienarbeit stellt sich zunehmend die Frage, ob nicht die Jugendarbeit mit ihrem nicht-formellen Bildungsansatz am ehesten selbstorganisierten, mitunter auch eigensinnigen Bildungsprozessen junger Menschen entspricht und diese besser fördert als die formelle Bildung der Schule. In zahlreichen Internetcafes aber auch in Ton- und Videostudios verfolgen Jugendliche ihre medienbezogenen Interessen, Lernen eigenständig, von- und miteinander, testen Rollen und erwerben auf diese Weise Lebens- und Berufsorientierungen. Hinzu kommt, dass in zahlreichen Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit Schulkurse stattfinden, wobei Schulklassen sich projektförmig medienbezogenen Themen widmen, die so in einem üblichen schulischen Umfeld nicht bearbeitet werden könnten. Jugendarbeit leistet damit einen Bildungsbeitrag, der deutliche Qualifizierungsanteile hat. Entsprechend mehren sich derzeit Initiativen, die darauf abzielen, die in der Jugendmedienarbeit erworbenen Qualifikationen z.B. durch „Computerführerscheinen“ zu dokumentieren oder auch zu zertifizieren . Andererseits sollte hier im Blick behalten werden, dass Jugendarbeit in erster Linie selbstorganisiertes Handeln von Kindern und Jugendlichen zielt, dass sich nur schwer mit einer „Curricularisierung“ vereinbaren ließe.

Besondere Chancen bietet die Förderung von Medienkompetenz in der Jugendarbeit für Mädchen und jungen Frauen. Die Berliner Untersuchung „Generation N“ zeigt, dass bei allen Einschränkungen, die hinsichtlich der Zielgruppenerreichung von Jugendfreizeitstätten zu machen sind – etwa 15 % der Kinder und Jugendlichen sind BesucherInnen dieser Einrichtungen –, gerade HauptschülerInnen vergleichsweise gut erreicht werden und diese Mädchen und jungen Frauen besonders von der Tätigkeit der dort geleisteten medienpädagogischen Arbeit profitieren  . Dies ist ein deutlicher Hinweis, dass die Jugendarbeit über die geeigneten Methoden verfügt, um auch üblicherweise als „bildungsfern“ bezeichneten Jugendliche, geeignete Angebote zum Erwerb von Medienkompetenz zu machen.

Das Nachdenken über das Wirksamkeitspotenzial von Jugendarbeit für die Bildung junger Menschen, über die Wahrnehmung von individueller und sozialer Verantwortung muss auch die Jugendmedienarbeit darin bestärken, sich verstärkt der Qualifizierung ihrer Angebote zu widmen.